20 mai. 2021Hinter den Kulissen vom Ferro Forum und Kamelleschmelz
Das Ferro Forum, welches im Rahmen von Esch2022 Europäische Kulturhauptstadt am 1. Mai 2022 eröffnet wird, ist als Ort der Begegnung, Bildung, Gestaltung und des Experimentierens konzipiert. Es agiert auf einer europäischen, interregionalen Ebene, um das zentrale Thema des Transformationsprozesses von Erz zu Eisen und Stahl sichtbar zu machen. Dabei ist es dem Team wichtig, die Erinnerung der identitätsstiftenden Geschichte der Stahl- und Eisenindustrie, insbesondere in der Region „Minett“ und den „Terres Rouges“ aufrechtzuerhalten. Das Ferro Forum wendet sich mit seinen vielfältigen Workshops, Konferenzen und pädagogischen Werkstätten an die breite Öffentlichkeit. Gleichzeitig sollen jedoch auch Design, Handwerk und Kunst rund um das Thema Metall eine zentrale Rolle spielen und beispielweise durch Künstlerresidenzen mit einbezogen werden.
Das Ferro Forum wurde Ende 2019 im Zentralatelier des Ehemaligen Hüttenwerks Esch-Schifflingen gegründet. Das Team besteht aus HistorikerInnen, KünstlerInnen, (Innen-) ArchitektInnen, kurzum aus engagierten BürgerInnen, die sich für das Thema Stahlindustrie und dessen Erbe in Luxemburg interessieren. Dabei bietet Esch2022 einen passenden Anlass, um dieses ambitionierte Projekt zu verankern. Mit viel Idealismus und der finanziellen Unterstützung der Œuvre Nationale de Secours Grande-Duchesse Charlotte und Esch2022 arbeitet das Team seit nunmehr einem Jahr vor Ort mit dem Ziel sich nachhaltig zu etablieren. Zudem wird das Projekt von Paul Wurth, Fonderie Massard, Arcelor Mittal und privaten Spendern unterstützt. Das Ferro Forum bietet seit dem 1. Mai 2021 und bis zur Eröffnung, jeden Monat eine Teaser Führung an, die liebevoll „Peepshow“ genannt wird. Darin wird das Projekt, der Standort und die Baustelle vorgestellt, um die Neugierde des potenziellen Publikums und der möglichen Kollaborateure bereits vor dem Kulturjahr zu wecken.
© Romain Girtgen
Bis zur Eröffnung des Forums sollen prototypisch einzelne Stationen entstehen die die Technologien und Entwicklungen rund um das Thema Metall von den Kelten bis hin zu neuen 3D Metallprintern illustrieren. Dazu gehören u.a. eine kleine Gießerei, eine Schmiede, ein Schlosseratelier, eine Buvette und die „pièce maîtresse“, ein 5 Meter hoher, funktionierender Miniaturhochofen in der ehemaligen Werkstatt. Dabei will das Ferro Forum kein Museum, sondern ein lebendiger Ort des Austausches sein, zugänglich für Designer, Ingenieure, Künstler, Forscher, Historiker und das junge Publikum. Die Besucher sollen die einzelnen prototypischen Stationen rund um die Thematiken Mensch, Werkzeuge, Prozesse und Umwelt ausprobieren können. Die Stationen veranschaulichen die Richtung, in die sich das Ferro Forum weiterentwickeln wird.
Eine wichtige Station ist das Archiv, die sogenannte „Ressourcerie“. Sie soll Fotos, Pläne, technische Zeichnungen, Bücher, Zeitschriften, persönliche Notizen, aber auch Industriewerkzeuge und Prototypen beinhalten. Zudem sollen Proben von Metallen und Mineralien als Rohstoff für neue Kreationen dienen. Längerfristige Kollaborationen mir regionalen Universitäten, Schulen und den heutigen Akteuren der Industrie und des Metallhandwerks sind in diesem Rahmen geplant. Auch wurden bereits Kontakte zu regionalen Partnern, wie der Mine de Hussigny und dem Parc du Haut-Fourneau U4 geknüpft, um das gemeinsame Erbe der Großregion und den EGKS-Vertrag (Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl), der als Grundlage für die Gründung der Europäische Union diente, zu thematisieren.
Des Weiteren will das Ferro Forum auch die Menschen zu Wort kommen lassen, die selbst in der Stahlindustrie gearbeitet haben. Dabei soll die Vielfalt der persönlichen Geschichten in den Vordergrund gerückt und die offizielle Geschichte nuanciert, aber auch kritisch betrachtet werden. Laut dem Künstler Misch Feinen gibt es nicht DIE Arbeiterklasse oder DAS Proletariat. Die Zusammensetzung und die Lebensumstände der Arbeiter wurden von der lokalen politischen Situation, der Migration, dem Urbanismus oder den Betriebsstrukturen beeinflusst. Die Arbeiter in Luxemburg lebten nicht in Arbeiterslums, wie zu dieser Zeit beispielsweise in England üblich, sondern besaßen oft Schrebergärten oder arbeiteten nebenher als Bauern. Es ist wichtig diese Unterschiede mit einer gewissen Distanz beleuchten zu können.
© Romain Girtgen
Die Erhaltung des historischen Gebäudes, der alten Zentralwerkstatt des Hüttenwerks in Esch-Schifflingen, ist ein wichtiges Anliegen des Ferro Forums. In der großen Zentralwerkstatt des Hüttenwerks befanden sich früher unter anderem eine Schreinerei, Metallwerkstatt, Drehbänke, Motorwerk und Schlosserwerkstatt. Dort wurden alle wichtigen Reparaturen getätigt, Teile nach Maß produziert und Lehrlinge ausgebildet. Insgesamt arbeiteten allein hier etwa 200 Menschen.
Seit 1871 wurde im Werk Esch-Schifflingen Eisenerz zu Gusseisen umgewandelt. Im Jahre 1911 wurde der Standort, der sich zu 90 % in Esch-auf-der-Alzette und zu 10 % in Schifflingen befindet, zum vollständigen Eisenwerk ausgebaut. Auch das ehemalige Kühlhaus („Pompelhaus“) soll im Rahmen des Ferro Forums und in Kollaboration mit dem auf dem Gelände ansässigen Hüttenwerkarbeitermuseum, bespielt werden. Darüber hinaus setzt sich das Projekt auch für den Erhalt weiterer Teile und Gebäude des historischen Werks ein, denn die Landschaft rund um Esch-auf-der Alzette befindet sich in einem rasanten architektonischen Wandel. In naher Zukunft soll ein neues Wohnquartier auf dem größten Teil der Fläche des ehemaligen Werks entstehen.
Kamelleschmelz
Das angebundene künstlerische Projekt Kamelleschmelz ist ein spielerisches, sinnliches und pädagogisches Kunstwerk der Künstlerin Trixi Weis, welches die verschiedenen Etappen der Stahlherstellung in Miniatur illustriert. Die Künstlerin kooperiert dabei mit mehreren Partnern wie Paul Wurth, UP Foundation und den Schulen Lycée des Arts et Métiers und Lycée Emile Metz, von denen jeweils eine Station der Zuckerhütte gebaut werden. Die Kamelleschmelz fungiert als künstlerische Komponente des Ferro Forums während des Kulturjahres Esch2022.
Nach Ihren Aufenthalten in Brüssel und Prag kam Trixi Weis nach Luxemburg zurück und zog nach Esch/Alzette, eine multikulturelle Stadt, die sie der „cleanen“ Stadt Luxemburg vorzog. Dort besuchte sie die alten Werke, machte Spaziergänge und Fotos. Ihre 12 Jahre in Esch, der Kontakt zum industriellen Erbe, sowie der enge Kontakt zu DKollektiv und den Teammitgliedern des Ferro Forums inspirierten die Künstlerin, sich mit dem Thema Eisen- und Stahlherstellung näher auseinanderzusetzen.
© Romain Girtgen
Die Idee zur Kamelleschmelz ist aus einer persönlichen Erinnerung an die Karamellbonbons Ihrer Großmutter und der Präsenz des Elektrostahlwerks entstanden. Als Kind hat Weis die Ferien bei Ihrer Oma in Lothringen verbracht und gemeinsam mit ihr Karamellbonbons hergestellt. Das Karamell wurde auf den geölten Marmor-Küchentisch gegossen, wie flüssiges Metall. Dieser Prozess des Gießens ist es, der die Idee des Hüttenwerks mit den Bonbons verbindet. Die Farbe des fertigen Zuckerwerks soll an das flüssige Metall erinnern.
Es ist nicht das erste Mal, dass die Künstlerin essbare Kunst macht. Bei Ihrem Projekt Hortus, welches 2005 auf Einladung vom Mudam Luxembourg im Rahmen der Ausstellung Sous les ponts, le long de la rivière II..., initiiert von Casino Luxembourg, stattgefunden hat, hat Trixi Weis essbare Blumen zubereitet. Bereits im Jahre 1997 hat sie zudem bei ihrer Prager Installation Sweet Home Hausschuhe aus Puderzucker hergestellt und Heizungen mit Meringue verziert. Sogar in ihrer Diplomarbeit hat die Künstlerin Schokolade verwendet.
In diesem Rahmen bietet die UP Foundation, die zum Ziel hat Bildung für Jung und Alt zu unterstützen, verschiedene Workshops rund um die Kamelleschmelz an, welche die unterschiedlichen Themen rund um Konfiserie und Hüttenwerk behandeln. Paul Wurth unterstützt das Projekt mit Recherchearbeit, Simulation und dem Aufzeichnen von Plänen, während das Lycée des Arts et Métiers den ersten Teil der Gesamtkonstruktion, den sogenannten Skip, herstellen wird, welcher die Wägen mit Zucker auf und ab befördern wird. Das Lycée Emile Metz seinerseits übernimmt den Bau des Hochofens der Kamelleschmelz.
Die Zukunft dieses Kunstwerks über Esch2022 hinaus sollte durch dessen Verbleib im Ferro Forum, in einem Kunst- oder Stahlindustriemuseum, oder als permanente Installation in einer technischen Schule, garantiert sein.
Das Ferro Forum und die Kamelleschmelz werden gemeinsam von der Oeuvre Nationale de Secours Grande-Duchesse Charlotte und Esch2022 mit einer finanziellen Beihilfe zur Entwicklung neuer Kulturorte gestiftet.
Weitere Informationen unter:
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